Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis (B) 
am 26. Januar 2003
Friedenspredigt angesichts der wachsenden Kriegsgefahr im Irak.
Anknüpfend an die Lesung des Sonntags: Jona 3, 1-5.10.
Autor: P.Heribert Graab S.J.
In dieser Predigt möchte ich heute
angesichts eines drohenden Krieges im Irak
versuchen, wenigstens einige Aspekte
des enormen Spannungsverhältnisses darzustellen,
das seit eh und je besteht
zwischen jener zwischenmenschlicher Realität,
die immer wieder zu Kriegen führt,
und dem Anspruch biblischer und christlicher Ethik.

Ich möchte anknüpfen an die Lesung dieses Sonntags,
die die Berufung des Jona schildert.
Er wird nach Ninive gesandt,
um diese große und mächtige Stadt zur Umkehr zu bewegen.
Ninive ist im Kontext der Jona-Erzählung
sozusagen der Inbegriff eines gottfeindlichen Staatsgebildes.
Und Gottfeindlichkeit bedeutet konkret:
Diese Stadt ist gegründet auf menschenverachtender Gewalt.
Seit Kain und Abel ist - biblisch gesehen -
Blutvergießen und Gewalt die „Ursünde" der Menschheit schlechthin.
Gegen die Blutschuld Ninives
richtet sich die Bußpredigt des Jona.

Die Botschaft der Jonageschichte lautet:
Gott ist ein Gott der Versöhnung.
Und: Umkehr zur Versöhnung ist möglich.
Diese Kernaussage der Jonageschichte
gilt es - auch angesichts der aktuellen politischen Situation -
als erstes einmal festzuhalten.

Auf dieser Linie der Jonageschichte
liegt auch die Botschaft Jesu:
Markus faßt Jesu Botschaft ganz knapp zusammen:
„Das Reich Gottes 
- das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens also -
ist nahe. Kehrt um! Und glaubt an des Evangelium!"
Auch die Predigt Jesu ist also eine Umkehrpredigt
und zugleich die Einladung,
die frohe Botschaft vom Reich der Gerechtigkeit und des Friedens
jetzt schon zu leben.

Im Zentrum der Bergpredigt - dem Grundgesetz des Reiches Gottes -
steht die Aufforderung zum Frieden und zum Gewaltverzicht,
zur Feindesliebe und zum Gebet für die Verfolger.

Und obwohl die Bergpredigt später immer wieder
diskriminiert wurde
als wirklichkeitsfremd und als ungeeignet für die Politik,
sah die frühe Christenheit darin dennoch den Maßstab
für ihr Verhältnis zu Krieg und zu Militärdienst.

Nun entstammten jedoch nicht wenige Neubekehrte
dem Soldatenstand.
Von ihnen verlangte man zwar nicht,
„die Uniform auszuziehen";
wohl aber legte die Kirchenordnung des Hyppolyt 
aus dem frühen 3. Jahrhundert
strikte Rahmenbedingungen fest,
die die Vereinbarkeit von Christsein und Soldatsein
ermöglichen sollte.
Erste Bedingung: Sich nicht freiwillig zum Militärdienst melden.
Zweite Bedingung: Den Befehl verweigern,
wenn es darum geht, Menschen zu töten.
Die Folge: Es kam immer wieder zu Soldatenmartyrien.

Von so strikter Gewaltlosigkeit
wendete sich das Christentum erst ab,
als sich zwischen Kirche und Staat 
ein immer positiveres Verhältnis herausbildete,
und das Christentum schließlich sogar
zur offiziellen Staatsreligion aufrückte.
Dennoch blieben erhebliche Bedenken
gegen das Töten von Menschenleben im Krieg bestehen.

An der Wende vom vierten zum fünften Jahrhundert
entwickelte Augustinus dann die Lehre vom „Gerechten Krieg".
Diese Formulierung war von Anfang an mißverständlich und unzutreffend.
Denn auch für Augustinus
war und blieb der Krieg grundsätzlich und immer ein schweres Übel.
Er sah darin jedoch unter Umständen das geringere Übel,
wenn es darum ging,
ein werthöheres sittliches Gut zu ververwirklichen:
z.B. verletzte Gerechtigkeit wiederherzustellen
oder die Menschenrechte durchzusetzen.

Einen Krieg zuzulassen, war nach Augustinus nur erlaubt,
• wenn er erstens dem Frieden dient;
• wenn er sich zweitens gegen begangenes Unrecht wendet;
• wenn er drittens von der legitimen Autorität angeordnet wird;
• wenn er sich viertens auf das unbedingt notwendige Maß an Gewalt beschränkt.

Theoretisch hätten sich aus diesen Regeln sehr wohl 
ganz enge Grenzen für eine sittlich gerechtfertigte Kriegführung ziehen lassen.
In der Praxis jedoch erwies sich 
das Konzept eines „Gerechten Krieges" als unrealistisch:
Es gibt wohl nur wenige Begriffe, 
die so oft in der Geschichte mißbraucht worden sind
wie der Begriff des „Gerechten Krieges".

Daß der Weg des „Gerechten Krieges" ein Holzweg war,
und daß er nicht einmal etwas beitragen konnte
zur Humanisierung von Kriegen,
haben Christen leider immer nur für kurze Zeit
und nach besonders verheerenden Kriegen eingesehen und verstanden:
so zum Beispiel nach dem Dreißigjährigen Krieg,
nach dem Ersten Weltkrieg
und schließlich ins Besondere nach dem Zweiten Weltkrieg.

Auf Grund solch erschreckender Erfahrungen
hieß es immer wieder „Nie wieder Krieg!".
Nach dem Ersten Weltkrieg war der literarische Ausdruck dessen
der berühmte Roman von Erich Maria Remarque
„Im Westen nichts Neues"
Nach dem Zweiten Weltkrieg machte sich z.B. Heinrich Böll
zum Sprachrohr dieser Erkenntnis,
zum Beispiel mit seinem ersten Roman „Wo warst du, Adam?"
Diesem Roman stellte er ein Wort von Saint-Exupéry voran:
„Der Krieg ist eine Krankheit. Wie der Typhus."

Heinrich Böll war ein tiefgläubiger Katholik;
aber sehr bald schon geriet er in erhebliche Spannungen
mit seiner Kirche, die er abgrundtief liebte,
weil diese Kirche immer noch nichts gelernt zu haben schien.

Diese Einschätzung von Heinrich Böll 
ist sehr gut nachvollziehbar -
vor allem im Blick auf die Wiederaufrüstung Deutschlands
und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges.
Dennoch ist diese Einschätzung nicht ganz zutreffend.
Die Mühlen der Kirche mahlen zwar sehr langsam;
aber seit Augustinus hat es wohl kaum jemals
so tief greifende Korrekturen
der Einstellung der Kirche zum Krieg gegeben
wie in den 58 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg.

• Das beginnt damit, daß schon Pius XII. 
noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges
jedweden Angriffskrieg absolut ächtete.

• Johannes XXIII. stellte darüber hinaus fest,
daß es auch sinnlos und gegen alle Vernunft sei,
„den Krieg als geeignetes Mittel 
zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten". 

• Der Akzent aller ethischen Überlegungen verschiebt sich
von der Frage nach der Erlaubtheit eines Krieges
hin zu der Frage nach der Gestaltung einer gerechten Friedensordnung.

• Das Zweite Vatikanische Konzil schreibt als grundlegendes Ziel fest,
eine Friedensordnung zu schaffen,
die Freiheit und Menschenrechte sichert,
und die es erlaubt, die Institution des Krieges gänzlich abzuschaffen.

• Dementsprechend faßt das Konzil
eine internationale Autorität ins Auge,
die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet sein müsse -
sowohl im judikativen, als auch im exekutiven Bereich.
Ein internationaler Menschenrechts-Gerichtshof,
wie er im Augenblick von vielen Staaten angestrebt,
aber bisher von den Vereinigten Staaten blockiert wird,
liegt also ganz und gar auf dieser Linie,
die Paul VI. bereits bei seiner wegweisenden Rede 
im Oktober 1965 vor den Vereinten Nationen vorgezeichnet hat. 

Ebenfalls liegt auf dieser Linie
die Weiterentwicklung des Völkerrechtes,
das seit der Schlußakte von Helsinki
nicht mehr nur souveräne Staaten als Subjekte kennt,
sondern im Schutz der Menschenrechte
eine internationale Aufgabe sieht.
Drittens würde es auf dieser Linie liegen,
wenn es gelänge, das Vetorecht im Sicherheitsrat der UN aufzuheben.

• Entsprechend der Schwerpunktverschiebung
von der „Kriegslehre" auf eine Lehre internationaler Friedensordnung 
ist in der Kirche heute
nirgendwo mehr die Rede vom „Gerechten Krieg",
sondern vor allem vom „Gerechten Frieden".

Nun sind zwar durchaus erste Schritte
in Richtung auf eine Friedensordnung hin getan.
Aber uns allen ist klar, daß die Völkergemeinschaft
im Hinblick auf eine gerechte Friedensordnung
noch ganz am Anfang steht.
Stichworte dazu liefert nicht nur das Reichtum-Armuts-Gefälle,
sondern auch die weltweit unzähligen Menschenrechtsverletzungen
bis hin zu erschreckenden Völkermorden.

Auf diesem Hintergrund wäre ein absoluter Pazifismus unrealistisch 
und würde in vielen Fällen zum Himmel schreiendes Unrecht tolerieren müssen.
Daher anerkennt die Kirche auch heute
eine „Gerechte Verteidigung gegen eklatante Aggressionen von außen",
sowie einen „Gerechten Schutz elementarer Menschenrechte",
also die „Gerechte Abwehr schlimmster Menschheitsverbrechen".
Namen wie Auschwitz und neuerdings auch Uganda und Srebenica
stehen da im Hintergrund.
Aber für eine „Gerechte Verteidigung"
und selbst für die „Gerechte Abwehr schlimmster Menschheitsverbrechen" 
gelten strengere Regeln,
als sie je zuvor in der Geschichte entwickelt wurden:

• Es muß zunächst einmal unzweifelhaft klar sein,
daß es im konkreten Fall wirklich um schwerste Menschenrechtsverletzungen geht. 
Krieg darf also nur im äußersten Notfall als Mittel gewählt werden, 
selbst wenn es um die Sicherung des allgemeinen Wohls geht.

• Alle gewaltlosen Mittel der Konfliktlösung
müssen zuvor restlos ausgeschöpft sein.

• Es gilt in jedem einzelnen Fall abzuwägen
zwischen den Gütern, die geschützt werden sollen
und denen, die durch militärisches Eingreifen vernichtet werden.

• Eine Art von militärischer Wiedergutmachung bereits geschehenen Unrechts,
- also auch kriegerische Strafaktionen - sind abzulehnen.

• Ein „Präventivkrieg" ist als Aggression zu brandmarken
Er kann nicht als gerechter Krieg zur Selbstverteidigung definiert werden
und ist daher sittlich unerlaubt.

• Der Schutz der Zivilbevölkerung muß in jedem Fall garantiert sein.
Eine Militäraktion, die nicht zwischen militärischen 
und zivilen Objekten unterscheidet oder unterscheiden kann, 
wird kategorisch verworfen.

• Kein Staat darf davon ausgehen,
daß er allein das Recht auf seiner Seite hat.
Das Kriterium einer „komparativen Gerechtigkeit"
soll absolute Ansprüche relativieren
und jede „Kreuzzugsmentalität" im Keim ersticken.

• Die angewandten Mittel müssen in einem angemessenen Verhältnis
zu den Zielen der Verteidigungsmaßnahme stehen.
Alle Mittel, die der Humanität widersprechen
und im Widerspruch zum Völkerrecht stehen,
gelten als unmoralisch.

• Es wird verlangt, daß in jedem Fall
auch die weiterreichenden Folgen einer Militäraktion
für das „Leben danach"
und für die Errichtung eines dauerhaften Friedens
in Betracht gezogen werden.

• Die Schuldigen müssen vor einem internationalen Gericht
zur Rechenschaft gezogen werden.

All diese Gesichtspunkte und Kriterien führen dazu,
daß in der augenblicklichen politischen Situation
Christen - und allen voran Papst Johannes Paul II. -
in nicht zu überbietender Klarheit
„Nein" sagen zu einem Krieg gegen den Irak.

Auch unsere persönlichen gewaltfreien Mittel,
einen Krieg zu verhindern, sind längst nicht ausgeschöpft.
Es ist nicht nur Sache des Papstes und der Bischöfe,
christliche Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Vor allem aber sind wir aufgerufen,
Tag für Tag und mit wachsender Intensität
um eine gewaltfreie und friedliche Lösung der Konflikte
zu beten.

Das tun wir auch jetzt mit der Feier dieser hl.Messe.

Amen.