Predigt zum Fest der Darstellung des Herrn 
am 2. Februar 2003
Zum Evangelium: Lk. 2, 22-40
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Alte Menschen gelten wenig
in unserer betont jugendlichen Welt.
Aber auf diesen „greisen Simeon"
lohnt sich dennoch, einmal einen Blick zu werfen.

Ein ganzes Leben lang hat er darauf gewartet,
„das Heil zu sehen".
Er hat wohl seinen jüdischen Glauben gelebt;
aber „das Heil" hat er nicht gesehen
bis zu diesem Augenblick,
bis kurz vor seinem Tod.
Eine sagenhaft vertrauensvolle Geduld!
Wer bringt die heute schon noch auf?

Wir wollen alles sofort haben -
und wenn wir uns dafür verschulden müssen.
Wir wollen auch ganz schnell die greifbare Erfahrung machen,
daß unser Glaube „etwas bringt",
daß er „Heil" bedeutet für unser Leben.
Und wenn diese Erfahrung auf sich warten läßt,
haken viele von uns den Glauben ganz schnell ab.

Nicht wenige junge Menschen sind heute 
bereits als Zwanzig- oder Dreißigjährige
„mit dem Glauben fertig" -
vielleicht deshalb, weil sie in unserer schnellebigen Zeit
nicht die Geduld aufbringen,
vertrauensvoll - unter Umständen bis in ihr hohes Alter -
die Dunkelheit des Glaubens zu ertragen
und auf das „Heil" zu warten -
so wie dieser „greise Simeon".

Am Ende seines Lebens wird ihm das geschenkt,
was wir „Gotteserfahrung" nennen,
und was viele Menschen auch heute ersehnen,
ohne jedoch darauf aktiv warten zu können oder zu wollen.

Diese Gotteserfahrung wird dem Simeon
übrigens nicht in einer Art übernatürlicher Schau zuteil.
Vielmehr wird für ihn etwas ganz Alltägliches
durchscheinend für eine andere, göttliche Wirklichkeit:
Tag für Tag kamen Eltern in den Tempel
zur Beschneidung und zur Namensgebung eines Kindes.
Und auch dieses Kind war nichts Besonderes -
ein Kind wie alle anderen!

Das gläubige Warten jedoch hat den Simeon
hellsichtig gemacht:
Er erkennt in diesem kleinen Kind den Messias,
„das Heil für alle Völker,
ein Licht das die Heiden erleuchtet
und Herrlichkeit für sein eigenes Volk Israel".

Und in diesen Worten steckt nun ein zweiter Grund,
warum es sich lohnt,
sich mit diesem Simeon zu befassen:
Simeon ist im jüdischen Glauben aufgewachsen und alt geworden.
Aber das hat ihn nicht engstirnig werden lassen:
In diesem Augenblick sieht er weit über Israel hinaus.
Einen weiten Horizont muß er also schon vorher gehabt haben;
sonst wäre er wohl kaum in der Lage gewesen,
sich für die Erkenntnis eines alle Völker umfassenden Heils zu öffnen.

Für ist im Augenblick der Begegnung mit diesem Kind klar:
dies ist nicht nur der Messias Israels,
sondern das „Licht, das die Heiden erleuchtet".
Genau genommen wird Simeon damit
zur ersten Gestalt nicht nur eines christlich-jüdischen Dialogs,
sondern eines Aufeinanderzugehens aller Religionen.

Unter dieser Rücksicht ist Simeon
wenigstens zweitausend Jahre seiner Zeit voraus!
Erst in unserer Zeit
und erst nach den erschreckenden Erfahrungen von Ausschwitz
wurden wenigstens erste mühsame Schritte eines Dialogs
zwischen Christen und Juden möglich.
Und erst recht kann auch heute 
von einem Aufeinanderzugehen z.B. von Christen und Muslimen
kaum die Rede sein.
Im Gegenteil:
Fundamentalisten auf beiden Seiten
ordnen den jeweils Anderen auf der „Achse des Bösen" ein.
So steht uns möglicherweise schon bald ein Krieg bevor,
der keineswegs nur um Öl und politische Macht geführt wird,
sondern auch um einer religiös verbrämten Ideologie willen.

Simeon hatte recht:
Dieser Jesus wurde zu einem „Zeichen, dem widersprochen wird".
Und dieser Widerspruch erhebt sich ausgerechnet
und nicht zuletzt in einer in die Praxis umgesetzten, 
fundamentalistischen Ideologie, die sich christlich nennt.

Simeon spricht zu Maria
von einem Schwert, das durch ihre Seele dringen werde.
Dieses Schwert ist heute schärfer denn je,
und es dringt - bildlich gesprochen - nicht nur ihr durch die Seele,
sondern mehr noch ihrem Kind - Jesus selbst, der der Christus,
der Messias, der Heil- und Friedensbringer für alle ist.
Nicht erst der drohende Krieg,
sondern schon jede Feindseligkeit der Religionen untereinander
ist eine Lästerung jenes Gottes, der der Gott aller ist.

Abschließend auch noch ein Blick
auf jene „hochbetagte" Hannah,
die im Evangelium ein wenig in den Hintergrund tritt,
weil sie nichts sagt.
Warum sagt sie nichts?
Beziehungsweise: Warum ist nicht überliefert, was sie sagt?
Sie wird doch ausdrücklich als Prophetin vorgestellt.
Und Lukas sagt von ihr:
„Allen, die auf die Befreiung Jerusalems warteten,
erzählte sie von diesem Kind."
Was hat sie aus ihrer lebenslangen Erfahrung heraus gesagt?
Was war ihr im Glauben wichtig?

Wir wissen es leider nicht.
Aber wenigstens wurde doch
auch in einer durch und durch von Männern geprägten Kultur
das Wirken von Prophetinnen überliefert.
Da ging wohl kein Weg dran vorbei.
Aber den Inhalt ihrer Botschaft
meinte man überhören und unterdrücken zu können.

Und genau darin steckt schon eine Mißachtung
der Botschaft und der Lebenspraxis Jesu,
dem es ja nicht nur um die Erlösung von Sünde und Schuld geht,
sondern ebenso sehr um die Lösung aus jenen sündigen Strukturen,
die immer wieder Ungerechtigkeit 
und damit Sünde und Schuld produzieren.

Hannah hat dieses Kind auf ihren Armen getragen.
Und dieses Kind hat als erwachsener Gottesgesandter
Frauen als Jüngerinnen berufen.
Frauen stehen unter Seinem Kreuz,
und eine von ihnen ist die erste Zeugin der Osterbotschaft:
Maria von Magdala.

Wer weiß - hätte man(n) Frauen wie Hannah oder auch Maria Magdalena
und das, was sie zu sagen hatten, nicht totgeschwiegen -
sie wären vielleicht die besseren und effektiveren Botschafterinnen
jenes Friedenslichtes gewesen, 
das Jesus in diese Welt gebracht hat,
und das symbolisch noch weit über die Weihnachtszeit hinaus
auf unserem Altar brennen wird -
jetzt erst recht!

Amen.