Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (B)
am 9.
Juli 2006
Evangelium: Mk. 6, 1 b - 6
Autor: P. Heribert Graab S.J.
„Nirgends gilt ein Prophet so wenig
wie in seiner Heimat."
Das ist zwar zum geflügelten Wort geworden;
aber wer weiß schon,
daß der Quelltext im Evangelium steht?!

Eine konkrete Erfahrung Jesu steckt dahinter:
Ausgerechnet in Seiner Heimatstadt Nazareth
stößt Er auf Ablehnung.
Was Er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß:
daß das erst der Anfang ist.
Schon bald wird er Widerspruch und sogar Feindschaft
auch anderenorts erleben.
Wir kennen den Endpunkt dieser Entwicklung:
Das Kreuz auf Golgotha

Frage: Wie konnte es dazu kommen?
Schließlich ging es Jesus doch
- und geht es Ihm auch heute -
um eine frohmachende und befreiende Botschaft!
Selbst Seine Gegner in Nazareth billigen dem,
was Er zu sagen hat, Weisheit zu.
Und sie bleiben auch nicht unberührt von all dem,
was sie gehört haben über Seine Wunder:
Er heilt Kranke,
treibt Dämonen aus,
befreit also von entmenschlichenden Mächten,
stellt sich in den Dienst der Armen,
hilft Ausgegrenzten zur Integration...
Und dann doch dieser Widerstand!

Jesus nennt sich in diesem Zusammenhang einen Propheten.
Da ist nun wichtig zu verstehen,
was das ist - ein Prophet:
Ein Prophet ist keineswegs jemand,
der die Zukunft vorhersagen kann.
Es geht also nicht um Kaffeesatzleserei.
Ein Prophet sagt allenfalls, was passieren wird,
„wenn ihr so weitermacht, wie bisher".
Dazu bedarf es keiner außergewöhnlichen Fähigkeiten
Dazu reichen ein wenig Geschichtskenntnis,
eine kritische Reflexion der Vergangenheit
und die Fähigkeit, logisch zu denken.
Ein Prophet sieht mit wachen Augen das,
was heute geschieht,
erkennt die Sackgassen, in die wir hineinlaufen,
und legt den Finger in offene Wunden.

Um dieser Sendung gerecht zu werden,
muß ein Prophet nicht unbedingt
kritische und aufrüttelnde Reden halten.
Das hat Jesus zwar auch getan -
allerding zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt.
Am Anfang - so auch in Nazareth -
ist Jesus noch sehr positiv und optimistisch gestimmt.
Er zeigt durch Sein Reden und Tun
ganz einfach und konstruktiv auf,
was es bedeutet, Volk Gottes zu sein,
und wie eine Welt aussehen könnte,
die sich an der Weisung Gottes orientiert,
und wie das verheißene „Reich Gottes",
wie also „Gottes Zukunft mit den Menschen" konkret aussieht.

Das ist fürwahr eine frohmachende Botschaft
und eine hoffnungsvoll stimmende Praxis.
Die stößt - wenn man mal von Nazareth absieht -
anfangs auch auf sehr viel Begeisterung.
Allerdings ist da ein Haken dran:
Zunächst einmal hört nämlich jeder heraus,
was er gerne hören möchte.
Viele entdecken in dem, was Jesus sagt und tut,
ihre eigenen Vorstellungen und Träume wieder,
und klatschen Beifall.

•    Sie erkennen noch nicht,
    daß Jesus selbstverständlich keinen Zauberring im Gepäck hat,
    an dem jeder einfach drehen kann,
    und schon geht ein Wunsch in Erfüllung.

•    Sie erkennen noch nicht,
    daß das Reich Gottes nicht einfach vom Himmel fällt.

•    Sie erkennen noch nicht,
    daß es Jesus um ganz praktische Konsequenzen geht -
    im Leben eines jeden Einzelnen
    und im Zusammenleben der Gesellschaft.

•    Sie erkennen noch nicht,
    daß Jesu Botschaft auch Einschnitte bringt in ihr Leben,
    daß eben nicht mehr alles so weitergehen kann, wie bisher,
    daß vielmehr eine radikale Umkehr erforderlich ist.

Ich glaube zwar nicht,
daß ausgerechnet die Nazarener
das alles früher erkannt haben, als andere.
Wohl aber hat vermutlich dieses
„Den Menschen kennen wir doch!"
dazu beigetragen, daß sich ihre Begeisterung in Grenzen hielt,
und daß sie von vornherein nicht viel von Ihm erwartet haben.

Blicken wir nun aber auf unsere Zeit heute:
In der Volkskirche schien alles so schön einfach.
Alle bekannten sich zu Jesus Christus,
weil letztlich alle - oder doch fast alle -
sich das Christentum so zurechtgebogen hatten,
daß es „paßte" und nicht zuviel „kostete".
Seinen prophetischen, d.h. aber vor allem kritischen Charakter,
hatte der Glaube weitgehend verloren.

Das hat sich inzwischen geändert -
nicht so sehr durch eigenes selbstkritisches Nachdenken,
sondern als Folge von Aufklärung und Säkularisation,
also durch Druck von außen.
Eine Zeit lang schien es noch möglich zu sein,
sich die alte „heile Welt" in der Kirche zu erhalten
durch den Rückzug in eine selbst gewählte Isolation.
Spätestens das 20. Jahrhundert mit seinen Katastrophen
hat diese „Burgen" aufgebrochen.

Erst jetzt und in der vielfach neuen Minderheitensituation
hat die Kirche auch ihre prophetische Dimension neu entdeckt.
Erst jetzt hat auch ein Stichwort neue Bedeutung erlangt,
das immer schon in der Taufliturgie stand:
„Du gehörst Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten."
Auf Jesus Christus getauft, sind wir also selbst zu Propheten berufen!

Menschen, die sich heute als Erwachsene taufen lassen,
ist das vielleicht gar nicht ausdrücklich bewußt.
Wohl aber erfahren sie sich in ihrer Umgebung vor Fragen gestellt,
spüren sie, daß sie mit ihrer Entscheidung gegen de Strom schwimmen,
müssen sich vielfach rechtfertigen
und stoßen auf Widerspruch - wie Jesus damals in Nazareth.

Wer sich heute als Erwachsener taufen läßt,
setzt damit offenkundig, mehr oder weniger bewußt
auch ein Zeichen, das vielfach zum Widerspruch herausfordert:

•    Sie lassen erkennen,
    daß es ihnen nicht ausreicht,
    an der Oberfläche des gängigen Lebensverständnisses
    einfach nur mitzuschwimmen.

•    Sie geben zu erkennen,
    daß ein beliebiges Sammelsurium von Werten
    und von subjektiv ausgewählten Elementen
    aus ganz unterschiedlichen Weltanschauungen und Religionen
    kein tragfähiges Fundament abgeben kann
    für ein sinnerfülltes Leben.

•    Erst recht machen sie deutlich,
    daß Konsum, Leistungsorientierung und Karrieredenken
    nicht alles sein kann.

•    Sie bekennen sich zu einem Menschenbild,
    das an Jesus Christus Maß nimmt,
    und stellen damit jedwedes Verständnis vom Menschen in Frage,
    das Schlupflöcher bietet für die Verletzung der Menschenwürde.

•    Sie stehen gegen alle Diesseits-Orientierung ein
    für eine transzendente Wirklichkeit,
    die wir nicht ungestraft aus unserem Leben ausklammern dürfen.

•    Sie bekennen sich zum Gott und Vater Jesu Christi,
    der allein der Garant einer Welt sein kann,
    in der sich zu leben lohnt.

•    Wie die Propheten des Alten Bundes
    und wie Jesus Christus selbst
    setzen sie ein Zeichen der Mahnung und der Umkehr.

•    Und wie alle Propheten stehen sie zugleich ein
    für die Verheißungen Gottes.

Lassen wir uns durch die Taufe und Firmung von Erwachsenen
- in der Osternacht, und heute abend, und immer wieder -
an unsere eigene Taufe und Firmung erinnern
und daran, daß auch wir in unserer säkularisierten Welt
durch die Taufe zu Prophetinnen und Propheten berufen sind,
daß wir berufen sind,
Zeugnis zu geben - sei es gelegen oder ungelegen.

Amen.