Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis B
am 21. Januar 2017
Lesung: 1. Kor. 7, 20 - 31
Evangelium: Mk. 1, 14 - 20
Autor: P. Heribert Graab SJ
Zu dieser Predigt gibt es noch eine Alternativfassung für die 'meditative Nachtmesse' in Sankt Peter.
Eher selten habe ich hier aus einer Paulus-Lesung
das Thema meiner Predigt gewählt.
Bei einem ersten Blick auf diese Lesung des Sonntags
kommen Sie wahrscheinlich auch nicht auf den Gedanken,
daß ausgerechnet dieser Text für uns heute bedeutsam sei.

Im Gegenteil:
Auf den ersten Blick scheint es hier um eine weltfremde,
um nicht zu sagen weltfeindliche Askese zu gehen,
um eine Haltung rigorosen Verzichts,
die in unserem Verständnis des christlichen Glaubens
so keinen Platz hat.

Der historische Hintergrund dieses Textes
ist die sogenannte ‚Naherwartung‘ der frühen Christen.
Das heißt: Paulus und die Christen seiner Zeit waren überzeugt,
das Ende dieser Welt, die Wiederkunft des Herrn
und damit der endgültige Anbruch der neuen Welt des Reiches Gottes
stünden unmittelbar bevor.
 „Die Zeit ist kurz! Denn die Gestalt dieser Welt vergeht“ -
und das sehr bald,
jedenfalls für die allermeisten zur eigenen Lebenszeit!

Vorausgesetzt, diese Erwartung ist zutreffend,
hat das natürlich Konsequenzen für die aktuelle Lebensgestaltung.
Dann wäre es offenkundig verfehlt,
sich an das Irdische, an das Zeitliche und Vergehende
oder gar an das Vergangene zu binden
und sich davon bestimmen zu lassen.

Nach der mehr als zweitausendjährigen Geschichte des Christentums
hat sich diese ‚Naherwartung‘ allerdings als Irrtum herausgestellt.
Wir sind heute im Glauben davon überzeugt (und zwar mit Jesus!),
daß wir nicht wissen können, wann das Ende dieser Welt kommt.
Wir sind dementsprechend davon überzeugt,
daß es unsere Aufgabe ist, diese Welt mitzugestalten
und mitzuwirken an einer Umgestaltung dieser Welt
im Sinne der Reich-Gottes-Botschaft Jesu Christi.

Eine Hilfestellung für ein aktuelles
und - wenn Sie so wollen - ‚modernes‘ Verständnis des Paulus-Textes
gibt uns Ignatius von Loyola in seinem Exerzitienbüchlein.
Ignatius setzt auf die für uns provokativen Formulierungen des Paulus
noch einen drauf:
Er sagt, wir sollten von uns aus
„Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren,
Reichtum nicht mehr als Armut,
Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit,
langes Leben nicht mehr als kurzes.“

Das klingt in unseren Ohren zunächst ähnlich ‚verrückt‘ wie:
„Wer eine Frau hat, solle sich verhalten, als habe er keine,
wer weint, als weine er nicht,
wer sich freut, als freue er sich nicht,
wer kauft, als würde er nicht Eigentümer,
wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht.“

Ignatius nennt diese Grundeinstellung
„Indifferenz“ allen geschaffenen Dingen gegenüber.
Begründet ist diese „Indifferenz“ darin,
daß all diese geschaffenen Dinge
zwar für den Menschen geschaffen sind,
daß aber der Mensch selbst geschaffen ist,
„Gott, unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen
und so - wir würden heute sagen - sich selbst zu verwirklichen“
als Geschöpf und Abbild Gottes,
sein eigentliches Ziel zum Lebensinhalt zu machen
und seinem Leben Sinn zu geben.
„Hieraus folgt, daß der Mensch alle geschaffenen Dinge
soweit zu gebrauchen hat, als sie ihm zu seinem Ziel hin helfen,
und so weit zu lassen, als sie ihn daran hindern.“

Jene grundlegende „Indifferenz“ verschafft uns also die innere Freiheit,
jeweils das zu wählen, was dem Sinn und Ziel unseres Lebens entspricht,
bzw. die Freiheit, jeweils den Willen Gottes zu tun.
Alle vorgefaßten eigenen Prioritäten, Wünsche und Vorlieben
nehmen uns hingegen genau diese Freiheit.
Fehlt uns die „Indifferenz“ den Dingen gegenüber,
werden wir abhängig von unseren eigenen Wünschen.

Ich entscheide mich dann nach dem Motto:
Ein Leben nach dem Willen Gottes ist mir zwar grundsätzlich wichtig,
und selbstverständlich möchte ich dem Sinn meines Lebens entsprechen,
aber in diesem Falle…
Du wirst verstehen, lieber Gott!

Weder für Paulus, noch für Ignatius geht es
um eine Verachtung oder gar Verneinung dieser Welt.
Beiden geht es nicht um Freiheit von der Welt,
sondern um Freiheit in der Welt:

Für Paulus ergibt sich die Notwendigkeit dafür
aus dem bald bevorstehenden Ende dieser Zeit und dieser Welt.
Unter dieser Rücksicht wäre es für ihn ein Irrweg,
sich ausgerechnet an Vergehendes zu binden
und sich davon bestimmen zu lassen.
Die Frage ist vielmehr:
Was ist im Leben dieser Welt zukunftsträchtig,
und was hat Bestand auch in der heraufziehenden neuen Welt Gottes?

Wenn Ignatius den Sinn des menschlichen Lebens hier
im Lobpreis Gottes und im Dienst für Gott sieht, hat auch er
das kommende und bereits angebrochene Reich Gottes vor Augen.
Lob und Dienst Gottes bedeutet nichts anderes
als im Sinne Gottes nach vorne zu blicken
an Gottes Vision für eine neue Wirklichkeit mitzuwirken
und also Seinen Willen zu tun - in diesem Leben und in dieser Welt.
Das setzt „Indifferenz“ voraus;
anders ausgedrückt: Innere Distanz und Freiheit
von allem Alten und Vergehenden.

Jedes Mal, wenn wir vor einer Entscheidung stehen - auch im Alltag! – gilt:
Nicht asketischer Verzicht im negativen Sinn dieses Wortes ist angesagt,
sondern Orientierung an einer beglückenden Zukunft,
in der all das seine Erfüllung findet,
was wir in diesem Leben voller Sehnsucht erhoffen.

Amen.