Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis (C) 
am 9. September 2001
Zum Sonntagsevangelium: Lk. 14, 25 - 33.
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Vielleicht wäre es diesmal ja doch besser gewesen,
die heilige Messe heute morgen mitzufeiern.
Denn heute abend könnte es sein,
daß uns die Radikalität des Evangeliums
- so wir es denn ernst nehmen -
den Schlaf raubt.

Die beiden plastischen Bilder, die Jesus braucht,
sind zunächst noch recht eingängig.
Sie passen durchaus in unseren aktuellen Erfahrungshorizont.
Ich kann mich durchaus erinnern,
in den letzten Jahren gewaltige Bauruinen gesehen zu haben,
die einfach nicht weiter gebaut wurden,
weil das Geld ausgegangen war.
Wenn ich nicht sehr irre,
gibt‘s dafür auch Göttinger Beispiele.

Auch für das Bild vom Kriegführen 
gibt es offenkundig vergleichbare Situationen:
So könnte es zum Beispiel sein,
daß die NATO ihre Möglichkeiten auf dem Balkan
gleich mehrfach überschätzt hat.

Wenn wir nun aber dem Gedankengang Jesu folgen
und die Bilder auf uns selbst, auf unseren Glauben
und auf unsere „Nachfolge Christi" beziehen,
dann geraten wir auf sehr unsicheren Boden;
dann erahnen wir, daß Jesus wohl niemals
mit einer „volkskirchlichen Situation" gerechnet hat,
wie sie unser heutiges Leben als Christen
auch hier in Göttingen immer noch 
unter vieler Rücksicht prägt.

Wir haben gestern hier in unserer Kirche
vier Kinder getauft - wie wir es immer wieder tun.
Natürlich bekennen Eltern und Paten bei dieser Gelegenheit
jedesmal ihren Glauben -
mit den überlieferten, vielleicht allzu vertrauten Worten.
Wir haben uns auch an vier Abenden mit den Eltern getroffen,
um mit ihnen die Taufe ihrer Kinder vorzubereiten
und darüber zu sprechen, was Taufe bedeutet.

Aber vielleicht hätten wir ihnen besser
die beiden Gleichnisse des heutigen Evangeliums vorgelesen
und mit ihnen ernsthaft überlegt,
inwieweit sie wirklich bereit und in der Lage sind,
ihre Kinder mit allen Konsequenzen
in die Nachfolge Jesu Christi einzuführen.
Vielleicht kämen wir dann in vielen Fällen
gemeinsam mit den Eltern zu dem Ergebnis,
daß sie ehrlicherweise ihre Kinder besser nicht taufen lassen sollten.
Vielleicht käme es dann auch nicht mehr so häufig vor,
daß wir Kinder nach der Taufe 
erst bei der Erstkommunion wiedersehen
oder auch gar nicht.

Bei der Firmung hat sich in den vergangenen Jahren
schon einiges getan:
Wir haben das Alter der Jugendlichen für die Zulassung zur Firmung
auf 16 Jahre hinaufgesetzt.
Wir schicken die Einladung zur Vorbereitung
nicht mehr an die Eltern,
sondern an die Jugendlichen selbst.
Wir akzeptieren auch keine Anmeldung durch die Eltern. 
Diesen Schritt müssen die Jugendlichen schon selbst tun.
Teilnahme an der Vorbereitung bedeutet auch nicht automatisch,
daß die Jugendlichen auch wirklich gefirmt werden.
Wir fordern sie zur persönlichen Entscheidung heraus.
Dementsprechend war die Zahl der Jugendlichen,
die in diesem Jahr gefirmt wurden,
auch ziemlich klein.
Dennoch heißt das immer noch nicht,
daß die Gefirmten nun wirklich mit ihrem Glauben ernst machen.

Oder betrachten wir einen Augenblick die Situation von Menschen,
die miteinander eine Ehe schließen -
ob nur vor dem Standesbeamten oder auch in der Kirche.
Vielleicht sollten wir auch die jeweils 
mit den beiden Gleichnissen konfrontieren.
Möglichweise ginge ja die Zahl der zerbrechenden Ehe zurück.
Allerdings würde ich sehr zurückhaltend reagieren
auf den Einwurf,
die große Zahl der Lebensgemeinschaften ohne Trauschein
sei ja vielleicht schon das Ergebnis solcher Überlegungen,
wie sie die Gleichnisse anstoßen.
Ich bin zwar durchaus der Meinung,
ein unverbindliches Zusammenleben auf Zeit
sei in manchen Fällen besser
als eine voreilige Trauung.
Andererseits jedoch hätte ich auch den Verdacht,
es fehle von vornherein die ernsthafte Bereitschaft
zu einer wirklichen Bindung.

Aber bedenken wir schließlich noch die Fragen,
vor die wir selbst - und zwar wir alle - gestellt sind
durch die Worte und Bilder Jesu:

Es geht letztendlich um die Prioritäten in unserem alltäglichen Leben.

Ist uns eigentlich klar, 
- daß der Anruf Gottes und unsere Taufe
uns ganz und gar herausfordert?
- daß es im Sinne Jesu nicht möglich ist,
ein „bischen" Christ zu sein?

Ist uns klar,
- daß es nicht ausreicht, 
dem Herrgott ein oder zwei Stunden in der Woche zu reservieren?
- daß unser Christsein Konsequenzen haben muß während der ganzen Woche:
im Umgang mit den Menschen unserer Umgebung,
in der Praxis unseres Berufsalltags,
in der Verwaltung unseres Einkommens
(darauf übrigens kommt es Lukas in seinem Evangelium
ganz besonders an!).

Ich möchte uns alle in diese Woche entlassen 
mit der abschließenden Frage:
Steht Gott und der Ruf in die Nachfolge Jesu Christi 
wirklich im Mittelpunkt unseres Lebens?
Und welche praktischen Konsequenzen 
müßte das für mich selbst in dieser Woche haben?

Amen.