| Wir haben in den Lesungen dieses Sonntags gleich zwei von den vielen biblischen „Heilungsgeschichten" gehört.
 „Heilen" ist heute so aktuell wie damals auch.
 Die zunehmende Spezialisierung hat bei uns sogar
 zu einer Fülle von sehr differenzierten „Heilberufen" geführt.
 Dabei fällt mir auf,
daß sich das „Heilen" selbst auseinander differenziert hat:
 Internisten heilen unsere inneren Organe,
 Chirurgen sind mehr für das Äußere zuständig,
 und Psychotherapeuten oder Psychiater
 haben es mit unserer Psyche zu tun.
 Und noch eins fällt mir auf:
Das Verb „heilen" ist uns selbstverständlich geläufig;
 das Substantiv „Heil" dagegen
 fehlt weitgehend in unserem alltäglichen Sprachschatz
 und wird - wenn es denn mal vorkommt -
 ausschließlich religiös verstanden.
 Dieses Wort ist übrigens gotischen Ursprungs
und bedeutet eigentlich „ganz" / „vollständig";
 meint also das genaue Gegenteil
 von all der modernen Differenzierung und Spezialisierung.
 In seinem ursprünglichen und umfassenden Sinne
wird das entsprechende Wort
 auch in der biblischen Überlieferung verstanden.
 Dem lohnt es sich ein wenig nachzugehen:
 Sowohl der Syrer Naaman, als auch die zehn Männer des Evangeliums
 sind am Aussatz erkrankt.
 Das heißt nicht unbedingt,
 daß sie unter dem leiden, was wir Lepra nennen.
 Wohl aber heißt es,
 daß sie eine sehr schwere, unheilbare,
 ansteckende und damit isolierende Krankheit haben.
 Sie werden alle geheilt.
 Die Naaman-Geschichte macht ausdrücklich klar,
daß diese Heilung nicht zustande kommt
 durch komplizierte und vor allem teure medizinische Techniken,
 sondern durch etwas vergleichbar Simples
 - nämlich die Waschung im Jordan -
 und vor allem durch ein rückhaltloses Vertrauen
 in die heilende Kraft des Propheten
 und letztendlich Gottes selbst, der durch den Propheten heilt.
 Was im Detail zur Heilung der zehn Kranken des Evangeliums führt,
wird nicht gesagt;
 aber auch hier kommt es letztendlich auf ihr Vertrauen an.
 Dem einen, der zurückkehrt, um zu danken,
 sagt Jesus ausdrücklich:
 „Dein Glaube hat dir geholfen."
 Ähnliches sagt Jesus immer wieder auch anderen Menschen,
 die durch ihn geheilt werden:
 „Dein Glaube hat dich gesund gemacht!"
 Was ist mit den anderen neun?
Auch sie wurden offenkundig geheilt -
 und zwar ebenfalls wegen ihres Vertrauens auf Jesus,
 dessen Namen übrigens nichts anderes als „Heil" bedeutet.
 Und doch bleibt ihre Heilung unvollständig:
 Wären sie durch und durch von dem „Unheil" in ihnen selbst „geheilt",
 wären sie zurückgekehrt, um zu danken,
 und Gott die Ehre zu geben.
 Das aber tun sie nicht.
 Und das unterscheidet ihre „Heilung" auch von der des Heiden Naaman:
Der ist so sehr bis an die Wurzeln seines Menschseins geheilt,
 daß ihm alles an einem Dankgeschenk liegt,
 das er dem Propheten machen könnte.
 Der aber lehnt ab,
 weil er um das eigentlich heilende Wirken Gottes weiß.
 Und so verfällt Naaman darauf,
 sich zwei Maultierladungen „heilige" Erde mitgeben zu lassen,
 um darauf zu Hause einen Altar bauen zu können,
 und um in Zukunft nur noch dem einen, wahren Gott
 die Ehre zu geben.
 Wenn wir uns noch andere Heilungen anschauen,
die Jesus gewirkt hat,
 dann stellen wir immer wieder fest,
 daß wahre „Heilung" einmündet in das Lob Gottes.
 Und das hinwiederum steht in einem engen Zusammenhang damit,
 daß „Heilung" im Sinne Jesu
 die Vergebung von Sünde mit einschließt.
 Bei der Heilung des Gelähmten zum Beispiel
 sagt Jesus ausdrücklich zuerst:
 „Deine Sünden sind dir vergeben."
 Und erst dann:
 „Nimm die Trage, mit der sie dich hergebracht haben,
 und steh auf!"
 Damit legt Jesus den eigentlichen Grund von Krankheit bloß:
„Nicht die Gesunden brauchen den Arzt," sagt er,
 „sondern die Kranken. Ich bin gekommen,
 um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten."
 In diesem Sinne gehört der verachtete Zöllner Levi,
 bei dem Jesus mit seinen Jüngern zu einem Gastmahl einkehrt,
 zu den von ihm „Geheilten",
 obwohl er äußerlich doch scheinbar kerngesund war.
 Bei der „Heilung" des Levi zeigt sich übrigens
noch ein weiterer Aspekt ganzheitlicher Heilung -
 ein Aspekt, der auch wesentlicher Bestandteil
 der Heilung der Aussätzigen ist:
 Zur umfassenden Heilung gehört immer auch
 die Integration des Menschen in die Gesellschaft.
 Das Evangelium pocht gerade auf diesen Gesichtspunkt,
 indem es immer wieder insbesondere
 die Heilung von Fremden und Ausgegrenzten
 ausführlich erzählt.
 Und manchmal entsteht dabei der bedenkenswerte Eindruck,
 die Ausgrenzung sei die eigentliche „Krankheit",
 die „geheilt" wird,
 bzw. deren Wurzel.
 Wenn wir nun noch bedenken,
daß biblisch gesehen die Sünde in schrankenloser Gewalt
gipfelt,
 und - wie gesagt - Ausgrenzung ein Aspekt von „Krankheit" ist,
 die es zu heilen gilt,
 dann wird einerseits klar,
 wie krank und krankmachend die Gesellschaften
 der heutigen Welt sind;
 dann wird aber zugleich auch klar,
 welch enorme Aufgabe uns als Christen aufgetragen ist:
 Nämlich in der Nachfolge des „Heilands" Jesus Christus
 zur Heilung dieser Welt beizutragen.
 Amen. |