Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis (C) am 28. Januar 2001
Lesungen: Jer. 1, 4-5 und 17-19 / 1.Kor. 12,31 - 13,13 / Lk. 4, 21 - 30. 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Autoreifen?
Antwort: Ein Autoreifen muß wenigstens 3 mm Profil haben.
Abgefahrenes Profil bringt ein Auto ins Schleudern.
Mancheiner beklagt heute, die Kirche sei ins Schleudern geraten
oder gar schon im Graben gelandet.
Wenn das zutrifft -
ob das nicht möglicherweise an der Profillosigkeit von uns Christen liegt???
Um Profil geht es in den drei Schriftlesungen des heutigen Sonntags:
Profil zu zeigen - darum geht es in der Berufung des Jeremia.
Es ist nicht Sache des Propheten, profiliert zu sein oder nicht:
Gott beruft ihn und fordert von ihm Profilierung.
Es ist nicht unsere Sache, als Christen Profil zu haben oder nicht:
Durch Taufe und Firmung „gehören wir für immer Christus an,
der gesalbt ist zum Propheten in Ewigkeit".
Und auch für uns gilt - wie für Jeremia und für Jesus Christus -
die Sendung, „gegen den Strom zu schwimmen",
anstatt „mit den Wölfen zu heulen".
In einer Welt der Beliebigkeit und des Profitstrebens,
in einer Welt von Unrecht, Ausbeutung und Gewalt
in einer gottlosen Gesellschaft, 
die stromlinienförmige Anpassung fordert,
macht Gott uns „zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule
und zur ehernen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige,
Beamten und (auch!) Gegen die Priester
und gegen die Bürger des Landes.
Das ist heute wie damals kein harmloses Kinderspiel,
aber auch uns gilt der „Spruch des Herrn", Gottes Zuage:
„Ich bin mit dir, um dich zu retten".
Um ein anspruchsvolles Profil - weit mehr als „3 mm" -
geht es auch im „Hohenlied der Liebe" des Paulus.
Dieser Text ist literarisch so „schön",
daß jedes zweite Brautpaar ihn auswählt als Lesung für die eigene Trauung.
Er ist uns überaus vertraut
und klingt angenehm in unseren Ohren.
Der enorme Anspruch dieses Textes und sein klares Profil
wird dadurch leider wie mit einer Zuckermasse zugekleistert.
Aber die „Liebe", die da eingefordert wird,
ist alles andere als eine zuckersüße Wallung von Gefühlen.
Da geht‘s an die Substanz unserer Motivationen im Leben:
Nicht auf Leistung kommt‘s an, noch viel weniger auf Show,
sondern ausschließlich darauf,
daß wir bei allem, was wir tun, den Anderen statt uns selbst,
und die Gemeinde und das Wohl des Ganzen im Auge haben.
Soziales Engagement zum Beispiel ist null und nichtig,
wenn es vor allem die eigene Geltung 
in den Augen der Öffentlichkeit aufpolieren soll.
Und persönliche Eitelkeiten und Empfindlichkeiten
machen Gutgemeintes wertlos.
Und dann wechselt Paulus den großen Schein des Wortes „Liebe"
in die harten Münzen des alltäglichen Umgangs miteinander.
Fast litaneiartig zählt er auf,
was Liebe konkret und sozusagen handgreiflich bedeutet.
Um es noch einmal im Bild des Reifenprofils zu sagen:
Paulus geht es nicht um die Schönheit des Reifens,
er arbeitet vielmehr detailliert dessen Profil heraus.
Am Ende steht wie bei Jeremias Gottes Zusage und Verheißung:
All unserem Stückwerk zum Trotz -
„Die Liebe hört niemals auf!"
Schließlich noch das Lukasevangelium:
Es führt uns an diesen ersten Sonntagen des Kirchenjahres
in einer äußerst komprimierten Form das Profil Jesu vor Augen -
sein Programm und dessen Konsequenzen,
sein Prophetenschicksal bis hin zum Tod am Kreuz.
Das Profil seiner Botschaft hat Lukas 
im Jesaja-Zitat, das wir am vergangenen Sonntag gehört haben,
zusammengefaßt:
„Der Herr hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Blinden das Augenlicht;
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze
und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe."
Mit dieser revolutionären Botschaft 
stieß Jesus damals, stößt er heute auf Widerspruch.
Aber anstatt klein beizugeben,
anstatt die Profilkanten abzuschleifen,
setzt er mit konkreten Beispielen noch einen drauf:
Zur Zeit der Witwe von Sarepta herrschte auch in Israel Hungersnot;
aber ausgerechnet dieser Ausländerin half Elija, der Prophet Gottes.
Zur Zeit des Propheten Elischa gab es auch in Israel viele Aussätzige;
aber von ihm geheilt wurde ausgerechnet der Syrer Naaman.
Mit dieser Profilierung seiner Sicht des Menschen,
konkret seiner Wertschätzung des Ausländers
brachte er die Konservativen seiner Heimatstadt Nazaret auf die Barikaden.
Und dieses Profil des christlichen Menschenbildes
bringt auch heute noch „brave Bürger" in Rage.
Lukas zeigt unverblümt, wohin das führt:
Wie zur Kreuzigung auf Golgota
wird Jesus zur Stadt hinausgetrieben
Aber am Ende steht auch bei Lukas die Zusage Gottes:
Der Tod wird diesen Jesus nicht bezwingen können.
Im souveränen Gang durch die Menge, die ihn töten will,
zeigt sich schon der auferstandene Christus.
Amen.