Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis (C)
am 8. August 2004
Zur zweiten Lesung: Hebr. 11. 1-2.8-19
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Vieles verbindet uns mit der kleinen judenchristlichen Gemeinde,
an die sich der Hebräerbrief um das Jahr 90 richtet:

• Jene Gemeinde war klein, gesellschaftlich unbedeutend,
 dem Spott und sogar der Verfolgung ihrer Umwelt ausgesetzt.
 Die Kirche heute gerät auch mehr und mehr in eine Minderheitenposition,
 verliert deutlich an gesellschaftlicher Bedeutung,
 und wer zum Glauben und zur Kirche steht,
 stößt vielfach wenigstens auf Unverständnis.

• Jene Gemeinde hatte den ersten Schwung 
 und die Begeisterung ihres Glaubens verloren.
 Sie fühlte sich in ihren Erwartungen enttäuscht.
 Es fehlten die Zukunftsperspektiven.
 Statt dessen machten sich Müdigkeit und Frustration breit.
 Der allgemeinde Eindruck: Es geht nicht weiter.
 Auch da machen wir heute durchaus ähnliche Erfahrungen.
 
Der Hebräerbrief versucht, auf die Glaubensnot der Zeit einzugehen.
Seine Antwort läßt sich knapp zusammenfassen:
• Diese Bewährung im Glauben ist nicht zum ersten Mal gefordert.
• Ihr steckt nicht in einer einzigartigen Situation,
 deren Bewältigung Menschenkraft übersteigt.
• Ähnliche Erfahrungen haben Gläubige immer und überall gemacht,
 wo Gott in der Heilsgeschichte am Werke war.
• Glaube ist immer der Not und der Anfechtung ausgesetzt.
• Sicherheit und unerschütterliche Festigkeit im Glauben
 sind immer ein Geschenk Gottes 
 und Seiner absoluten Zuverlässigkeit und Treue.

An den Beginn des 11. Kapitels über den Glauben
stellt der Autor so etwas wie eine Definition:
„Glaube ist: Feststehen in dem, was man erhofft;
Überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht."

Schon dieser eine Satz verlangt von uns ein Umdenken:
Sehen wir doch den Glauben gar zu oft im Gegensatz zum „Wissen"
als etwas ausgesprochen Ungewisses.
Wir setzen „Glauben" vielfach gleich mit
Meinen, Vermuten und eben Nicht-Wissen.
Damit wird Glauben der Beliebigkeit anheimgegeben.
Glauben wird zur Privatsache.
Im Grunde ist es belanglos,
ob jemand glaubt oder nicht,
und erst recht, was er glaubt.
Damit verkürzen wir die Wirklichkeit
auf das Sichtbare, Greifbare, auf das an der Oberfläche Wahrnahmbare.
Damit stirbt zugleich unsere Hoffnung darauf,
daß hinter all dem ein Sinn verborgen sein könnte. 

Der Hebräerbrief arbeitet sodann mit Beispielen aus der Geschichte
heraus, was Glauben praktisch und konkret bedeutet.
Zunächst einmal:

Glauben - das heißt: Unterwegs-Sein, Pilger-Sein.

Zum Beispiel: Der Glaube des Abraham.
Gott ruft ihn heraus aus allem,
was sein Leben bisher ausmachte.
Heraus aus wohlerworbenen Sicherheiten,
heraus aus der Geborgenehit von Sippe und Volk,
heraus aus den Überlieferungen von Sitte und Kultur,
heraus aus Wohlstand und Reichtum.

Abraham folgt diesem Ruf, bricht auf, zieht aus -
nicht auf eigenes Risiko, sondern im Vertrauen 
auf den aus all dem herausrufenden Gott
und um des verheißenen Zieles willen!

Im Gegensatz dazu haben wir uns gut bürgerlich eingerichtet
in bröckelnden Burgen des Glaubens.
Wenn wir wie Abraham glauben würden,
müßten auch wir immer wieder neu aufbrechen
aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit,
aus dem Trend der Masse und der Mode,
aus den sogenannten Sachzwängen,
aus dem, was eine neoliberale Politik und Wirtschaft
als das Selbstverständliche und nicht mehr Hinterfragbare hinstellen.
Glauben stellt uns hinein in die Einsamkeit
einer Entscheidung vor Gott.

Im Glauben unterwegs sein bedeutet:
sich immer wieder aus der Bahn werfen lassen;
bereit sein, sich immer wieder neue Ziele zeigen zu lassen;
Tag für Tag neu auf den je aktuellen Ruf Gottes hinzuhören;
die „Freiheit der Kinder Gottes" zu kultivieren,
die sich nicht einfangen läßt vom Vordergründigen.

Der Hebräerbrief arbeitet zur Verdeutlichung dessen mit Bildern:
• Abraham und all die, die mit ihm aufgebrochen waren,
 wohnten in „Zelten":
 Das Zelt ist die jeden Augenblick zum Abbruch geeignete Behausung
 des Nomaden, des ewigen Wanderers.
• Abraham wird charakteresiert als „Fremdling":
 Er ist der Typos des Pilgers - auch noch im Land der Verheißung selbst.
 Als Fremdling wirkt er immer wieder „befremdend" auf andere,
 ja sogar beängstigend.
 Als Fremdling ist er überall, wohin er kommt,
 „in der Fremde" und das heißt vielfach eben auch „im Elend" (= Ausland).

Aus dieser Perspektive des Abraham schauen Sie mal auf Jesus Christus.
Sie werden in Ihm Abraham wieder entdecken:
• „Er kam zu den Seinigen,
 aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf" (Jo. 1,11)
• „Das Wort ist Fleich geworden und hat bei uns ‚gezeltet‘" (Jo. 1,14)
• „Die Füchse haben ihre Höhlen..." (Lk. 9,58)
• „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt" (Jo. 18,36)

Jesus sieht auch diejenigen, die Ihm nachfolgen,
auf dem Weg des Abraham:
 „Wenn ihr zur Welt gehörtet,
 so würde euch die Welt als ihr zugeörig lieben;
 weil ihr aber nicht zur Welt gehört,
 sondern ich euch auserwählt und aus der Welt gerufen habe,
 deshalb haßt euch die Welt." (Jo. 15,19)

Darum ist die Existenz des Christen in der Welt
wie die von „Schafen unter Wölfen" (Mt. 10,16)

Und darum charakterisiert einer der bedeutendsten 
Neutestamentler unser Zeit, Gerhard Lohfink,
die Kirche als „Kontrastgesellschaft".

Ein weiterer Gesichtspunkt des Glaubensverständnisses im Hebräerbrief:

Glauben heißt von der Zukunft, von einem Ziel her leben.

Unterwegs-sein lohnt sich nur um eines Zieles willen!
Unser Glaubensweg ist nur sinnvoll,
wenn er bestimmt ist durch das Ziel,
das schlechthin nicht mehr zu überbieten ist,
das nicht nur fern, in einer vagen Zukunft liegt,
sondern das hineinwirkt in jeden Augenblick des Lebens.

Dies Ziel ist biblisch ebenfalls durch ein Bild gekenneichnet,
durch das Bild der Stadt, die „fest in sich gegründet ist".
Diese Stadt ist in der Schrift zum Inbegriff
aller Verheißungen, allen Heils und aller Erfüllung geworden.
Das 21. Kapitel der Offenbarung zeichnet das Bild dieser Stadt
phantasievoll und mit prächtigen Farben.
Letztlich geht es dabei um die Erfüllung all unserer Sehnsucht
in einem Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

Von Abraham heißt es,
er habe diese letzte Erfüllung nicht erlangt,
aber er habe sie von Ferne geschaut,
und sie habe sein Leben hier bestimmt.
Und Jesus sagt, diese Erfüllung,
die Er mit „Reich Gottes" umschreibt,
sei jetzt schon Wirklichkeit und wirke in diese Zeit hinein,
obwohl ihre Fülle noch ausstehe. (Vgl. Mt. 13,31 ff)

Schauen wir also auf dieses einzig lohnende Ziel,
das „schon" greifbar ist, 
wenn auch „noch nicht" in seiner Fülle erreicht,
dann wird ein „trauernder Blick zurück" sinnlos,
wie ja auch Abraham und die Seinen nicht trauernd nach Haran zurückschauten,
obwohl sie die Möglichkeit der Umkehr hatten.

So stellt auch uns die Möglichkeit der Rückkehr
immer wieder vor die Frage:
Wo wollen wir beheimatet sein?

Jesus sagt dazu:
„Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat 
und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes." (Lk. 9,62)

Noch ein dritter Gesichtspunkt:

Unterwegs ist die Sonne manchmal hinter Wolken versteckt.

Das Ziel leuchtet nicht zu jeder Zeit in gleicher Klarheit.
Noch einmal der Glaubensweg des Abraham:
Gott führt ihn zeitweise ins äußerste Dunkel -
bis hin zum scheinbaren Tod der Verheißung selbst.

Für Abraham ist Isaak der Sohn der Verheißung,
Zeichen und Unterpfand der Macht Gottes,
Angeld der Erfüllung der Verheißung.

Die Schrift weiß das und bohrt in dieser Isaakgeschichte
wie in einer Wunde:
„Nimm Isaak - deinen Sohn - deinen Einzigen - den du lieb hast..." (Gen. 22,2)
Und im Hebräerbrief:
„Abraham bracht Isaak dar - den einzigen Sohn -
obwohl er die Verheißung empfangen hatte -
und ihm gesagt worden war: 
In Isaak soll dir Nachkommenschaft werden."

Martin Luther hat diese ungeheure Spannung 
in aller Schärfe auf den Punkt gebracht:

„Würde da menschliche Vernuft nicht einfach schließen,
es müsse entweder die Verheißung lügen,
oder aber dies müsse nicht Gottes,
sondern des Teufels Gebot sein.
Denn daß die Verheißung wider sich selbst lautet,
ist offenbar.
Denn wo Isaak soll getötet werden,
so ist die Verheißung vergeblich und umsonst;
wo aber die Verheißung gewiß ist und bestehen soll,
so ist es unmöglich, 
daß dies sollte Gottes Gebot sein.
Anders sage ich, kann die Vernunft nicht schließen."

Der Glaube Abrahams ist bereit,
selbst den Weg des Todes,
des scheinbaren Scheiterns zu wählen -
einzig und allein im Vertrauen auf die Treue und die Macht Gottes,
der selbst Tote zu erwecken vermag.

Wie Abraham könnten auch wir uns ständig wundreiben
an der Frage nach dem Warum.
Täglich neu können wir uns in diese lähmende Frage verbohren,
wenn wir mit persönliche Schicksalsschlägen konfrontiert sind,
wenn wir die Bilder von Terror und Gewalt sehen,
wenn wir die Ungerechtigkeit konkreter Wirtschafts- und Sozialpolitik betrachten.

Die richtige Frage aus der Perspektive des Abrahamsglauben lautet:
Wozu?
Der Glaube Abrahams und der Glaube Jesu Christi
führt uns aus den ausweglosen Kreisen unseres Denkens heraus
und eröffnet uns im Blick auf das Ziel produktive Handlungsmodelle -
für unser persönliches Leben, 
so gut wie für die Wahrnehmung unserer politischen Verantwortung.
Wenn wir uns darauf einlassen,
werden wir allerdings immer wieder 
in eine Außenseiterrolle und in die Opposition gedrängt.

Aber nur diese Position erschließt jene Hoffnung,
die ein tragfähiges Fundament abgibt für ein Leben,
das diesen Namen verdient,
für eine Hoffnung also, in der man „fest stehen" kann.
Nur diese Position des Glaubens kann auch neue Hoffnung erschließen
für die vielen orientierungslosen Menschen unserer Zeit
und für die Welt, die manche schon aufgegeben haben.

Amen.