Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis (C)
am 17. Oktober 2004
Lesung: Ex. 17, 8 - 13
Evangelium: Lk. 18, 1 - 8
Autor: P.Heribert Graab S.J.
In beiden Schriftlesungen dieses Gottesdienstes
geht es um Fragen des Gebetes:

Das Gebet des Mose um den Sieg der Waffen für sein Volk
ist uns spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als suspekt.
Um so wichtiger ist es in meinen Augen,
diesen Text genauer unter die Lupe zu nehmen,
um herauszufinden,
was er uns heute zu sagen hat.

Im Evangelium ermuntert Jesus uns
zu einem ausdauernden und hartnäckigen Gebet.
Er zieht dabei ein durchaus gewagtes Gleichnis heran -
eben das Gleichnis jener zielbewußten Witwe,
die nur durch ihre Hartnäckigkeit das Recht durchsetzt -
und das gegen einen Richter,
„der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nimmt".

Betrachten wir also beide Texte ein wenig näher:

Erst beim zweiten Lesen des Mose-Textes,
und nachdem mich jemand mit der Nase drauf gestoßen hatte,
fiel mir auf, was Mose mit seinem Gebet auch zum Ausdruck bringt:
daß nämlich nicht menschliche Macht und Waffengewalt
den Ausgang einer kriegerischen Auseinandersetzung bestimmen möge,
sondern letztendlich der Gott der Gerechtigkeit und des Friedens.

Ich bekenne mich dazu,
daß ich jeden Krieg für ein Verbrechen an konkreten Menschen halte.
Zugleich weiß ich jedoch, daß es in dieser Welt
immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen geben wird.
Diesen Realismus vorausgesetzt,
kann ich nur wünschen und mit Mose beten,
daß auch heutige Kriege nicht entschieden werden
durch diejenigen, die die größere Macht haben
und skrupelloser zu Werke gehen;
daß diese Kriege vielmehr letztendlich entschieden werden
durch den gerechten und menschenliebenden Gott.
Darum zu beten ist auch heute
im eigentlichen Sinne des Wortes „not-wendig".

Vielen von Ihnen liegt nun wahrscheinlich die Frage auf der Zunge:
Hat ein solches Beten überhaupt Sinn???
Die großen Anliegen und Nöte dieser Welt vor Gott tragen???
Der kennt sie doch!
Und ändern tut sich nichts!
Die Antwort der Bibel ist eindeutig.
Die setzt sogar noch einen drauf:
Wenn du müde wirst und resignierst,
hör‘ ja nicht auf zu beten;
das führte unweigerlich in die Katastrophe.

Im Gegenteil:
Wenn du einfach nicht mehr kannst,
wenn du ganz und gar erschöpft bist
vom unermüdlichen, vielleicht sogar nächtelangem Gebet,
dann laß‘ dir helfen von anderen -
so wie Mose sich helfen ließ von Aaron und Hur.

Verstumme nicht in deiner Enttäuschung
und scheinbaren Gottesferne!
Zieh‘ dich nicht zurück in eine resignierte Einsamkeit!
Bitte Freunde, bitte die Gemeinde,
mit dir zu beten und sich dein Gebet zu eigen zu machen.

Unser Fürbittbuch bekommt von daher eine ganz neue Dimension,
oder die Gebetslichter, die wir füreinander in der Kirche anzünden.
Auch unser gemeinsames Beten im Gottesdienst -
greifen wir damit nicht einander unter die Arme?
Mal ist der eine müde und zu schwach -
und wir alle stützen ihn.
Mal ist es die andere, die unser Miteinander im Gebet braucht.
Also sollten wir gerade dann, 
wenn wir in unserem Beten keinen Sinn mehr sehen,
um so selbstverständlicher das gemeinsame Beten im Gottesdienst suchen.

Ein dritter Gesichtspunkt noch
ergibt sich für mich aus der Exoduslesung:
So sehr dem Gebet die letztlich entscheidende Bedeutung zukommt,
so sehr hängt zugleich doch auch alles 
von unserem Einsatz und - richtig verstanden -
von unserem „Kampf" ab.
Ignatius von Loyola hat einmal gesagt,
wir sollten uns so vorbehaltlos einsetzen
- zum Beispiel für Frieden und Gerechtigkeit -
als ob alles restlos von uns selbst abhinge;
zugleich aber sollten wir so vertrauensvoll beten,
als ob alles ausschließlich von Gott abhinge.

Diese doppelte „Strategie"
steckt schon im Leitmotto des Benediktinerordens:
„Ora et labora".
Und noch zugespitzter kommt sie zum Ausdruck
in dem Wahlspruch der Mönche von Taizé:
„Kampf und Kontemplation".

Im Gleichnis des Evangeliums vom gottlosen Richter und der Witwe
findet vor allem das Motiv der Ausdauer im Gebet
seine Bestätigung.
Aber dieses Motiv wird durch Jesus noch zugespitzt:
Hartnäckigkeit ist mehr als Ausdauer!
Diese Witwe rennt dem Richter sozusagen die Türen ein,
sie tritt ihm massiv auf die Füße,
sie geht ihm regelrecht „auf den Geist".

Das könnte man aktives oder auch eindringliches Beten nennen.
Natürlich kann man dies Gleichnis nicht eins zu eins auf Gott übertragen.
Natürlich ist Er keineswegs ein desinteressierter „Richter gnadenlos".
Und doch fordert das Gleichnis uns heraus,
Gott mit unseren Bitten, ja sogar Forderungen „in den Ohren zu liegen".
Lesen Sie unter dieser Rücksicht immer wieder mal die Psalmen:
Da können Sie genau dieses aktive, engagierte,
(an)klagende und herausfordernde Beten lernen.
Sehr menschlich packt der Psalmenbeter
Gott bei Seiner Ehre, 
malt den Verlust Seiner Glaubwürdigkeit an die Wand
und konfrontiert Ihn zugleich mit einem entwaffnenden Vertrauen.
Das Buch der Psalmen - eine ganz hervorragende Schule des Gebetes!

Aber zurück zur Witwe des Evangeliums:
Die kriegt durch ihre Hartnäckigkeit sogar
einen Richter rum, der gottlos ist
und auf keinen Menschen Rücksicht nimmt.
Ich denke, die Gleichnisse Jesu sind aussagekräftig
nicht nur auf einer höheren Deutungsebene,
sondern auch auf der Ebene der unmittelbaren Erzählung.

Auf dieser Erzähl-Ebene scheint mir das Gleichnis
höchst aktuell zu sein:
Mir fallen da die vielen Menschen ein,
die in diesen Tagen erfahren haben,
dass ihre Arbeitsplätze bei deutschen Großunternehmen
in Gefahr sind.
Im Sinne des Gleichnisse kann ich die nur ermutigen,
hartnäckig um ihre Rechte als Arbeitnehmer zu kämpfen.
Die katholische Soziallehre hat immer wieder betont,
daß das Kapital für die Arbeit da ist und nicht umgekehrt.
Das gilt auch und gerade,
wenn Manager den Karren in den Dreck gefahren haben.

Ich möchte nicht jeden einzelnen von diesen Managern
mit dem gottlosen und menschenverachtenden Richter gleichsetzen.
Wohl aber haben sie sich einem System verpflichtet,
das über weite Strecken gottlos und menschenverachtend ist.
Sich in einem solchen System hartnäckig Recht zu erkämpfen,
das ist im Sinne des Evangeliums recht und billig.

Und wenn wir nun im Blick auf diese aktuelle Situation
die Erzählebene des Gleichnisses mit der Deutungsebene verknüpfen,
dann wäre es not-wendig,
das Recht nicht nur in zähen Verhandlungen oder gar mit Streiks zu erstreiten,
sondern es auch im Gebet vor Gott einzuklagen. 
Wenn Menschen in solchen Situationen
ihre Zuflucht auch im ebenso hartnäckigen Gebet 
und im sich gegenseitig stützenden Beten nehmen würden,
dann würde auf Dauer allein durch eine solche politische Gebetspraxis
die Realität verändert:
Sie würde menschlicher werden.

So lade ich Sie herzlich ein,
im fürbittenden Gebet mit all jenen, die arbeitslos sind
oder um ihren Arbeitsplatz bangen,
aber auch mit den Menschen in Ihrer persönlichen Umgebung,
die von einer existentiellen Not betroffen sind,
solidarisch zu sein.
All diese Menschen mögen daraus die Kraft schöpfen,
auch ihre eigenen Arme erhoben zu halten.

Amen.