Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis (C)
am 24. Oktober 2004 (Weltmissionssonntag)
Evangelium: Lk. 18, 9 - 14
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Wohl zu allen Zeiten und überall gibt es Menschen,
die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt sind
und andere verachten - so auch heute und hier bei uns.

Heute würde Jesus das Beispiel des Evangeliums
vielleicht so erzählen:

Zwei gläubige Menschen gingen jeweils in das Gebetshaus ihrer Gemeinde,
um zu beten und Gottesdienst zu feiern.
Der eine war ein Christ und besuchte am Sonntag seine Kirche.
Der andere war ein Muslim und verrichtete an einem Freitag sein Gebet.

Der Christ betete in seinem Herzen:
Gott, ich danke Dir, daß ich nicht so bin
wie diese Fundamentalisten und Terroristen;
wie jener Muslim zum Beispiel,
der hier in unserer christlich geprägten Kultur
eigentlich nichts zu suchen hat.
Du hast mir einen Glauben geschenkt,
der seit zweitausend Jahren unsere abendländische Kultur geprägt hat,
der uns jene humanen Werte vermittelt hat,
die auch heute noch - selbst in einer säkularisierten Umwelt -
das gesellschaftliche Zusammenleben
und sogar unsere Gesetzgebung bestimmen.
Ich bitte Dich von ganzem Herzen um ein vereintes Europa,
in dem genau diese christlichen Werte hochgehalten werden.

Auch der gläubige Muslim betete zum einen, wahren Gott.
Er jedoch sprach sein Gebet in einer sehr bescheidenen
und vom öffentlichen Leben abgeschiedenen Moschee.
Genau genommen war das gar keine Moschee,
sondern eine durch „Just-in-time-Produktion"
überflüssig gewordene alte Lagerhalle,
die er gemeinsam mit Freunden liebevoll
zum Gebetsraum hergerichtet hatte.

Der Muslim betete:
Allmächtiger, aus der Fremde rufe ich zu Dir.
Es geschieht viel Unrecht in dieser Welt -
Haß, Gewalt und Terror verbreiten Angst unter den Menschen.
In Deinem Namen und im Namen des Islam
verbreiten auch Fanatiker meiner Religion den Schrecken.
Erbarme Dich, Allgütiger!
Erbarme Dich auch meiner,
der ich als Mitschuldiger ausgegrenzt werde,
obwohl ich doch nur in Frieden hier leben und arbeiten möchte.

Jesus schloß seine Erzählung ab, indem er sagte:
„Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück,
der andere nicht."


Jesus wusste sich vom Vater gesandt,
zu heilen, was verwundet ist.
Er wollte  den Armen eine gute Nachricht bringen,
eine Botschaft der Gerechtigkeit und der Befreiung.
Er war  gesandt, Menschen in Abhängigkeit und Sklaverei
eine Perspektive der Hoffnung und Befreiung aufzuzeigen.
Den Blinden schenkte er das Augenlicht zurück,
Zerschlagene setzte er in Freiheit.
Er rief ein Gnadenjahr des Herrn aus,
er heilte kranke Menschen und kaputte Beziehungen.
Er vergab Sünden und erließ Schuld und Schulden.
Alle - ohne Unterschied, Einheimische und Fremde,
Männer und Frauen ließ er es wissen:
Du hast eine Zukunft.

Auf dem Hintergrund dieser Botschaft Jesu und Seiner Lebenspraxis
lautet das Motto des heutigen Sonntags der Weltmission:
Missionarisch leben – Begegnung wagen.
Das bedeutet ganz einfach:
In dem Geist zu leben versuchen,
in dem Jesus selbst seine Sendung (Mission) gelebt hat.
Jesus hatte eine unnachahmliche Art, Menschen zu begegnen.
Denken Sie an Zachäus, den Er vom Baum herabholte,
um ihm "in Augenhöhe" zu begegnen. 
Denken Sie an die vielen Kranken,
aber eben auch an die Fremden und Ausgegrenzten,
die er ganz nah an sich heran ließ.
Jesus ging immer den Weg der Begegnung.
Er hatte immer einen liebevollen, offenen Blick,
mit dem er dem/der anderen andeutete:
Du bist mir willkommen.
Du bist geliebt.
Gott ist der Vater aller.

Der heutige Sonntag der Weltmission ruft in besonderer Weise
zur Begegnung mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern des Islam auf -
und das gerade auf dem Hintergrund
der sich zuspitzenden Situation seit dem 11. September.

Nicht durch Ausgrenzung, Vergeltung oder Krieg
lösen wir das international brennendste Problem unserer Zeit.
Nur durch Begegnung und Dialog aller Mensche guten Willens
wird es uns gelingen, jene Kluft zu überwinden,
die durch eine vielfach belastete Geschichte,
- denken Sie nur an die Kreuzzüge oder an „die Türken vor Wien" -
durch westlichen Imperialismus und Kolonialismus
und nicht zuletzt durch Unkenntnis und Mißverständnisse
auf beiden Seiten sich immer tiefer in die Herzen der Menschen eingegraben hat.

Papst Johannes Paul II hat beim ersten Gebetstreffen in Assisi (1986) gesagt:
"Durch den interreligiösen Dialog geben wir Gott Raum,
in unserer Mitte gegenwärtig zu sein.
In dem Maße, wie wir uns gegenseitig im Dialog öffnen,
öffnen wir uns für Gott."

So ist Jesu Geist und Sendung am Werk,
wenn Christinnen und Christen
und auch viele andere Menschen guten Willens
im Irak, in Israel und Palästina und im Sudan
der Logik der Gewalt und Vergeltung
entgegentreten und den Gott bezeugen,
der Leben und Zukunft für alle will.

Eine glaubwürdige Kirche Jesu Christi
widersteht der Logik der Gewalt
und des angeblichen Rechtes des Stärkeren.
Sie ist Zeichen der Einheit und der Versöhnung
unter Völkern, Kulturen und Religionen der Einen Welt.
In dieser Überzeugung öffnet sie auch im eigenen Haus
immer mehr Räume der Begegnung und des Dialogs und der Ökumene.
Sie betet jeden Tag um die Herabkunft des Geistes Jesu,
der gegenseitiges Verstehen und Frieden möglich macht
Durch Begegnung und Dialog im Sinne Jesu
können auch wir zu Brückenbauern und Wegbereitern
in einer Welt des Hasses und der Unversöhnlichkeit werden.

Seit Jahren schon bin ich selbst hier in Göttingen
an Begegnungen und Gesprächen
des „Runden Tisches der Religionen Abrahams" beteiligt.
Auf Abraham führen Juden, Christen und Muslime
ihre gemeinsame Wurzeln zurück.
Gespräche unter diesen zerstrittenen Geschwistern
sind gewiß nicht leicht.
Aber so mühsam sie auch manchmal sind,
sie öffnen nach und nach die Augen für die Sichtweise
des jeweils anderen.
Sie machen deutlich, daß unsere Medien
selten die ganze Wirklichkeit in den Blick nehmen.
Sie bereiten - wenn auch in ganz kleinen Schritten -
Wege der Verständigung und damit des Friedens
in unserer Stadt.

Wir sind ein wenig stolz darauf,
daß diese Gespräche beim „Runden Tisch" in Göttingen
auch nach dem 11. September nicht zum Erliegen kamen,
daß es uns vielmehr gelungen ist,
gerade auch nach diesem schlimmen Datum
gemeinsam zu Gebeten um den Frieden einzuladen.

Solche Begegnungen, Gespräche und gemeinsame Aktivitäten
gibt es Gott-sei-Dank auch in den aktuellen Krisenregionen -
auch in Israel, in Palästina und im Irak.
Daß die Medien darüber kaum je berichten,
wirft leider nicht das beste Licht auf sie.

missio bittet heute um Ihre großzügige Spende
für die Aufgabe der Kirche,
das Evangelium vom Leben und vom Frieden
in aller Welt bekannt zu machen.
Sie unterstützen mit Ihrer Spende in diesem Jahr
vor allem Kirchen und Gemeinden im Vorderen Orient
und in Nordafrika.
Gerade diese Kirchen und Gemeinden sind vielfach
um die so wichtigen Zeichen der Begegnung
und des menschlichen Miteinanders
mitten im Haß und Terror ihrer Umwelt bemüht.

Durch Ihre Spende für missio tragen Sie dazu bei,
dass Gottes Geist unsere Welt mit Leben erfüllt
und  dass die Kirche Jesu immer mehr zum Werkzeug des Friedens wird.

Amen.