„Die Lage spitzt sich zu… -
Warum kein Weg mehr vorbeiführt
am Todesurteil.“
3. Der dritte Tag:
    Die Frage nach der Vollmacht und das Weinberggleichnis
Am Morgen des dritten Tages - wieder unterwegs nach Jerusalem -
führt der Weg Jesu und Seiner Jünger
wieder an jenem Feigenbaum vorbei.
Der allerdings ist jetzt wirklich „bis zu den Wurzeln verdorrt“ -
kein Wunder, nachdem gestern wirklich und endgültig
das Todesurteil über Jesus,
den Messias und Sohn Gottes, gefällt wurde.

Den verdorrten Feigenbaum nimmt Jesus zum Anlaß
für eine Belehrung der Jünger.
Darauf möchte ich später etwas ausführlicher eingehen.
Für’s erste sollten wir wenigstens noch
die ein oder andere der Auseinandersetzungen betrachten,
die sich am dritten Tag im Tempel abspielen.

Zum einen drehen sich diese Auseinandersetzungen
auch heute noch einmal um das Problem des Mammon-Kultes -
nämlich in der Debatte um die Steuerfrage
und in den Beobachtungen Jesu
an einem der Opferkästen im Tempelbezirk.
Darauf im einzelnen einzugehen, fehlt uns die Zeit.
Im Kern zielen jedoch beide Markus-Berichte
in die gleiche Richtung wie die ‚Tempelreinigung‘.

Uns soll es jetzt um einen zweiten Problembereich gehen,
nämlich um die Frage nach der Vollmacht Jesu,
dieses ganze System des Tempels in Frage zu stellen.
Auch um diese Frage geht es in den Streitgesprächen des Tages
gleich mehrfach -
•    konkret stellen gleich drei Fraktionen des Hohen Rates
    direkt die Frage nach der Legitimation Jesu:
    Vertreter der Priesterschaft, der Schriftgelehrten und der Ältesten;
    die Reaktion Jesu enthält sehr wohl eine klare Antwort;
•    diese ‚Antwort‘ verdeutlich und verschärft Jesus noch
    durch das Gleichnis vom Weinberg
    und dessen verbrecherische Pächter.
•    Die Partei der Sadduzäer stellt die Frage
nach der Auferstehung der Toten.
Auch bei dieser Frage geht es letzten Endes
um die Vollmacht Jesu: Die soll lächerlich gemacht werden.
•    Schließlich soll auch mit der Frage nach dem wichtigsten Gebot
die Autorität Jesu untergraben werden.
 
Nur die Vollmachtsfrage der Gegner Jesu und Sein Weinberggleichnis
sollen uns im Augenblick etwas intensiver beschäftigen:

1.    Jesus hatte durch die Akton Seiner ‚Tempelreinigung‘
den Hohen Rat bis auf’s Blut gereizt
und praktisch Sein eigenes Todesurteil unterschrieben.
Unter diesen Umständen grenzte es schon an Leichtsinn,
gleich am nächsten Tag zurückzukommen,
provokativ im Tempel auf und ab zu gehen 
und Seine Gegner regelrecht herauszufordern.

Die stellen nun ohne Umschweife die Frage:
„Mit welchem Recht tust du das?
Wer hat dir die Vollmacht gegeben, das zu tun?“
Mit dieser Frage bewegen sie sich auf vertrautem Boden:
Sie sind die Fachleute für Recht und Gesetz
und eröffnen mit ihrer Frage ‚inoffiziell‘ schon den Prozeß gegen Jesus.
Erst in diesem Prozeß wird Jesus unumwunden antworten,
wenn der Hohepriester fragt:
„Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?“
Dann wird die Antwort Jesu klipp und klar lauten: „Ja, ich bin es!“

Jetzt jedoch läßt Jesus sich nicht
auf das Eis von Gesetz und Gesetzesauslegung locken.
Er geht vielmehr zum Angriff über
und bringt mit Seiner Gegenfrage nach Johannes dem Täufer
die prophetische Tradition der Heiligen Schriften Israels ins Spiel.
In der prophetischen Tradition ging es
vor allem um Herrschaftskritik und Kultkritik.
Daher waren in Israel immer wieder Propheten umgebracht worden.
Dem Johannes war es nicht anders ergangen.
Und das oberste Gericht in Jerusalem
hatte nichts gegen den Mord des Herodes unternommen.
Beim einfachen Volk hatte der Hohe Rat schon dadurch
viel von seiner Autorität und Glaubwürdigkeit eingebüßt.

Hintergrund war natürlich, daß der Hohe Rat
durchaus einverstanden war mit dem, was Herodes getan hatte.
Schließlich hatte Johannes in seinen Predigten
Umkehr gefordert und nicht Reinigungsopfer.
Aber durch Umkehr würden die hohen Herren keinen Gewinn machen,
wohl aber durch Reinigungsopfer.
Fielen die weg, würde das zu erheblichen finanziellen Einbußen führen.
Die Herrschaften würden sich selbst den Ast absägen,
auf dem sie sitzen und ihre Herrschaft ausüben.

So bringt allein der Name des Johannes, den Jesus ins Spiel bringt,
die Herrschaft der Großen des Tempels ins Wanken.
Zu Recht müssen sie sich also fürchten vor dem Volk,
das den Johannes als Propheten schätzte
und ihre eigenen Machenschaften sehr wohl durchschaute.

So wird ihre Frage nach der Vollmacht Jesu zum Bumerang:
Ihre eigene Vollmacht wird durch Jesu Reaktion in Frage gestellt.
So geben sie sich zusätzlich noch die Blöße zu kneifen:
„Wir wissen es nicht.“
Damit ist in aller Öffentlichkeit klar,
wie es um die Vollmacht des Hohen Rates bestellt ist.

Wir sollten heute allerdings zurückhaltend sein mit einem Urteil
über die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten.
Haben wir selbst denn wirklich Klarheit darüber,
wer heute Gottes Botschaft, bzw. die Botschaft Jesu Christi
‚mit Vollmacht‘ verkündet?
Vielleicht ist unsere spontane Antwort: Die Kirche.
Wir sind hoffentlich überzeugt, daß in der Kirche Gottes Geist wirkt.
Aber selbstverständlich wissen wir auch:
Diese Kirche hat in ihren Amtsträgern, aber auch durch uns selbst
oft und oft ihre Glaubwürdigkeit verspielt -  
nicht selten ganz ähnlich wie damals:
Durch Streben nach Macht, Geld und Prunk.
Und könnte es nicht durchaus sein,
daß auch andere Religionen und erst recht andere christl. Konfessionen
uns in Gottes Vollmacht begegnen,
daß Gott sich auch in Ihnen offenbart?
Jedenfalls legt uns das Zweite Vatikanische Konzil genau das nahe.

Die Frage nach der Vollmacht
sollte also durchaus auch unsere Frage sein.
Allerdings sollten wir uns
in einem von den Fragestellern damals unterscheiden:
Wir sollten selbstkritisch darauf bedacht sein,
offen, vorurteilsfrei, und nicht durch egoistische Interessen gelenkt
zu fragen.
Kriterium all unseres Fragens
kann letztlich nur Jesus Christus selbst sein,
wie Er uns im Evangelium begegnet.
Wir dürfen allerdings in der Hoffnung leben,
daß wir auch heute Lebenszeichen von Ihm erkennen können,
und daß ein Vorschein Seiner Zukunft jetzt schon erfahrbar ist,
wenn wir denn dafür einen ‚siebten Sinn‘,
einen Glaubenssinn entwickelt haben. 

2.    Unmittelbar im Anschluß
an die Konfrontation mit Vertretern des Hohen Rates
verschärft Jesus Seine Kritik an ihnen und ihrer Vollmacht
durch das Gleichnis vom Weinberg und den verbrecherischen Winzern.
Das Bild vom Weinberg steht genau wie das Bild vom Feigenbaum
für das Volk Israel.
Jahwe selber hat diesen Weinberg angelegt,
mit einem Zaun gegen die heidnischen Nachbarn geschützt
und immer wieder Propheten geschickt,
um daran zu erinnern, daß Israel Frucht bringen soll.
Und genau darum wurden nicht wenige von ihnen umgebracht.
Selbstverständlich hat Jesus sich selbst
als Messias und als „geliebten Sohn“ Gottes im Sinn,
wenn Er Seinen eigenen gewaltsamen Tod andeutet.

Vor allem die Ältesten im Hohen Rat verstehen sofort,
wer mit diesem Gleichnis gemeint ist.
Das Gleichnis schildert ihre eigene Lebenswelt,
denn sie waren selbst Großgrundbesitzer,
waren mit dem Pächterwesen vertraut,
enteigneten ihrerseits kleine Bauern
und trieben Tribute ein, soviel und sooft sie nur konnten,
anstatt immer wieder mit viel Geduld nachfragen zu lassen,
wie es das Gleichnis nahe legt.

Und sie verstehen vor allem auch die Sinnspitze dieses Gleichnisses:
daß nämlich Israel, der Weinberg Jahwes,
von ihnen als der herrschenden Clique,
die eigentlich doch nur Pächter sind,
als ihr Eigentum betrachtet wird;
und daß sie die Früchte Israels verzehren,
während Jahwe leer ausgeht,
d.h. während das Volk darbt und bittere Not leidet.

Vielleicht verstehen sie sogar,
daß Jesus ihre Absicht, Ihn zu Tode zu bringen, durchschaut,
und daß Jesus sich selbst als den Stein versteht,
„den die Bauleute verworfen haben,
und der zum Eckstein“ für etwas ganz Neues wird.
Irgendwie verunsichert sie auch dieses Selbstbewußtsein Jesu.

Auch uns kann dieses Gleichnis natürlich nicht gleichgültig lassen.
Denn schließlich sind wir selbst ja auch heute
als Kirche und als Einzelne
‚Pächter‘ all dessen, was uns anvertraut ist.
Was haben wir nicht schon alles
mit dem uns anvertrauten ‚Weinberg‘ gemacht?
Waren wir uns wirklich immer bewußt,
daß wir ‚Pächter‘ und eben nicht Eigentümer sind?
Daß wir also Rechenschaft ablegen und ‚Früchte‘ bringen müssen?
War sich dessen z.B. die Kirche im Dritten Reich wirklich bewußt?
Und haben wir nicht allen Grund uns zu wundern,
daß uns der Herr den Weinberg noch nicht weggenommen hat?
Gott fragt auch heute nach unseren ‚Früchten‘.
Er klopft an unsere Türen z.B. in der Gestalt der vielen Flüchtlinge,
die wir schon an den Außengrenzen Europas abweisen,
und die wir im Mittelmeer einfach ertrinken lassen.
Und sicherlich gibt es darüber hinaus
noch viele ‚Früchte‘ auch unseres ganz persönlichen Lebens,
die wir ausschließlich für uns reklamieren –
ohne auch nur ein Wort des Dankes,
und erst recht ohne einen Akt des Teilens mit anderen.

Auch dieses Gleichnis stellt uns also gerade passend zur Fastenzeit
vor drängende Fragen.
Hoffentlich drängen wir Gott angesichts dieser Fragen
nicht einfach aus unserem Bewußtsein
und hoffentlich geben wir uns nicht
wie Pharisäer und Schriftgelehrte zufrieden mit der Feststellung,
wir beteten doch regelmäßig, gingen sonntags in die Messe
und hätten auch noch etwas übrig für die Caritas.

Vielleicht abschließend noch dieser eine Gedanke:
Im Gleichnis geht der Herr außer Landes und läßt die Pächter allein.
Manchmal fühlen wir uns ja auch allein gelassen vom Herrn.
Das wirft neue Fragen auf:
Kommt er überhaupt noch einmal zurück?
Kümmert er sich noch um seinen Weinberg?
Lebt er überhaupt noch?
Haben nicht doch jene Recht, die sagen:
Gott ist tot. Er ist längst gestorben. Es gibt ihn überhaupt nicht.
Warum läßt Er uns allein?

In der dunkelsten Stunde Seines irdischen Lebens
hat Jesus diese Not herausgeschrieen:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
Vielleicht gerade auf dem Hintergrund dieser brennenden Frage
ist uns die tröstliche Verheißung Jesu zugesagt:
„Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt!“
Darauf dürfen wir vertrauen -
Zumal wenn wir gleich mit Ihm und miteinander
Eucharistie feiern, jenes Mahl,
zu dem Er selbst uns immer wieder einlädt.

+ + +

Für den gesamten Vortragszyklus verarbeitete Literatur:

Kuno Füssel, „Drei Tage mit Jesus im Tempel“, edition liberación, Münster 1987
Kurt Martin, „Das Markus-Evangelium“, Jordan-Verlag, Zürich 1985