„Die Lage spitzt sich zu… -
Warum kein Weg mehr vorbeiführt
am Todesurteil.“
4. Jesus verläßt Jerusalem,
geht auf den Ölberg - in 'Antiposition' zum Tempelberg
Wir haben Jesus während dreier Tage im Tempel erlebt.
Wir haben gesehen, wie sich die Situation für Ihn zuspitzte:
Sein Schicksal am Karfreitag war unausweichlich geworden.
Zugleich aber ist deutlich geworden:
Das System des Tempels in Jerusalem ist irreparabel pervertiert:
Aus der ‚Wohnung Gottes unter den Menschen‘,
aus einem Haus des Gebetes
ist ein politisches, wirtschaftliches
und leider auch religiöses Machtzentrum geworden,
das das gläubige Volk Gottes beherrscht, ausbeutet und in die Irre führt.
Und nun steht fest:
Wie alle von Gott gesandten Propheten gescheitert sind,
so ist auch der ‚Sohn‘ selbst gescheitert,
Ihm wird er Prozeß gemacht werden,
Er wird am Kreuz zum Opfer dieses Systems.

So ist nicht nur die Auseinandersetzung Jesu mit dem Tempel
an ein Ende gekommen.
Mehr noch: Der Tempel selbst ist am Ende.
Jesus verläßt den Tempel und geht mit Seinen Jüngern
hinüber zum Ölberg.
Er bezieht damit nicht nur symbolisch,
sondern grundsätzlich eine Gegenposition zu diesem Tempel.

Seine Jünger sind noch längst nicht so weit:
Trotz allem, was sie mit Jesus erlebt haben,
sind sie immer noch beeindruckt von der Majestät dieses Bauwerkes.
Einer von ihnen bringt das so zum Ausdruck:
„Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten!“
Die Antwort Jesu:
„Siehst du diese großen Bauten?
Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen.“

Damit bringt Jesus Sein Resümee der vergangenen drei Tage
zum Ausdruck:
Dieser Tempel und das ganze unmenschliche
und widergöttliche System, das er repräsentiert,
ist vom Innersten her kaputt und wird daher keinen Bestand haben.
Zu der Zeit, da Markus sein Evangelium verfaßt,
weiß er schon um die Katastrophe,
durch die knapp vierzig Jahre später die düsteren Worte Jesu
Wirklichkeit werden:
Im Jahre 70 zerstören die Römer
unter ihrem Feldherrn und späteren Kaiser Titus den Tempel
und errichteten an seiner Stelle ein Lügen-Heiligtum
mit der Statue des römischen Kaisergottes im Zentrum.
Im Gespräch mit Seinen Jüngern auf dem Ölberg
hatte Jesus diese letzte Schändung des Jahwe-Tempels angedeutet:
„Wenn ihr aber den unheilvollen Greuel an dem Ort seht,
wo er nicht stehen darf - der Leser begreife -,
dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen“ (Mk. 13, 14).

Angesichts der von den Jüngern bewunderten Prachtbauten des Tempels
schildert Jesus ihnen Seine Visionen oder auch Ahnungen von dem,
was schon bald kommen wird.
Dabei geht Sein Blick weit über die Zerstörung dieses Tempels hinaus.
Er rückt dieses Schreckensereignis
in einen umfassenden Zusammenhang
mit all den von Menschen verursachten Katastrophen der Geschichte:
Kriege, Umsturz, Verfolgung, Entzweiung bis in die Familien hinein…
Das alles sind für Ihn Kennzeichen der alten,
dem Untergang geweihten Welt.
So spricht Er auch in einem Atemzug
nicht nur von der Zerstörung des Tempels,
sondern vom Ende dieser Welt überhaupt -
und zwar so, daß sich das eine vom anderen
nicht wirklich auseinanderhalten läßt.

Es geht Ihm auch nicht um konkrete, datierbare Ereignisse der Zukunft;
für Ihn ist entscheidend: Die von Gott entfremdete
und damit menschenfeindlich gewordene Welt
ist an ihr Ende gekommen.
Vielleicht denkt Er dabei auch an die Worte des Jesaja:
„Denkt nicht mehr an das, was früher war;
auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten.
Seht her, nun mache ich etwas Neues.
Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“ (Jes. 43, 18-19)
Jedenfalls ist Jesus überzeugt,
daß die Zeit gekommen ist für einen neuen Anfang,
für „eine neue Erde und für einen neuen Himmel“. (Jes. 66, 17)
Kurz: In den Augen Jesu zieht die „neue Zeit“ herauf,
Gottes Zeit, Gottes Zukunft, Gottes Reich.
Dieses herandrängende Reich Gottes
war während der ganzen Zeit Seines öffentlichen Wirkens
der Kern von Jesu Botschaft.
Und nie war diese Botschaft so dringlich wie in diesem Moment.
Eindringlicher als je zuvor mahnt Er daher Seine Jünger
und alle, die Ihm bis auf den heutigen Tag nachfolgen würden:
Gebt acht! Seid wachsam! Seht euch vor!
Verpaßt die Stunde nicht!
Stellt euch ein auf die neue Zeit!
Werdet selbst zu neuen Menschen!

Wir glauben:
Die neue Zeit, die neue Wirklichkeit hat bereits begonnen!
Spätestens vom Ostermorgen her
strahlt ihr Licht hinein in die alte, dunkle und todbringende Welt.
Diesen Neubeginn, die neue Erde und den neuen Himmel,
vor allem aber den neuen Menschen feiern wir immer wieder,
wenn wir der Einladung Jesu zum Mahl mit Ihm folgen.